Günther Oettinger redet in Biberach Klartext - 19.2.25

Von Gerd Mägerle

Der frühere Ministerpräsident und EU-Kommissar Günther Oettinger hat bei einer CDU-Wahlkampfveranstaltung in Biberach schonungslos die aktuelle politische Situation kritisiert.

BIBERACH - Das Auditorium im katholischen Gemeindehaus St. Martin in Biberach war mit etwa 30 Zuhörern eher klein, dafür waren die Ansagen, die vom Rednerpult kamen, umso deutlicher. Günther Oettinger, von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg und von 2010 bis 2019 EU-Kommissar, machte auf dem Rückweg von der Münchener Sicherheitskonferenz Wahlkampfstation in Biberach und stand noch unter dem Eindruck dessen, was er in München gehört hatte.

Zwei große Aufgaben liegen, so Oettinger, nach der Wahl vor einer neuen Bundesregierung: Verteidigung und Wirtschaftsstärke. In puncto Verteidigung sei nichts mehr wie früher. Dies habe auch US-Vizepräsident Vance bei seiner Rede in München klargemacht, die Oettinger, drastisch verkürzt formuliert, so zusammenfasste: „Europäer, kümmert euch um euren Scheiß selber.“

Jahrzehntelang habe man sich auf die Schutzgarantie der USA verlassen und die Verteidigungsausgaben auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts heruntergefahren. „Das war eine der großen Schwachstellen von Angela Merkel als Kanzlerin“, sagte Oettinger. Die Wehrpflicht sei ausgesetzt, Kasernen seien umgenutzt worden. Jetzt herrsche Krieg in Europa, „und unsere Bundeswehr ist blank“, meinte der frühere EU-Kommissar. „Dagegen sind der Biberacher Schützenverein und die Freiwillige Feuerwehr besser aufgestellt.“

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"Der Krieg gegen die Ukraine wird nicht Putins letzter gewesen sein, wenn er ihn gewinnt oder mit Trump einen Deal erzielt." Günther Oettinger

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Günther Oettinger (Mitte) mit dem Biberacher Bundestagskandidaten Wolfgang Dahler (l.) und dem neuen CDU-Kreisvorsitzenden Thomas Dörflinger. Foto: Gerd Mägerle

Ähnlich wie zu Zeiten der Nachrüstung in den 1980er-Jahren, die in der Folge zur Abrüstung und zum Zerfall der Sowjetunion führte, müssten Deutschland und Europa wieder „verteidigungsfähig“ werden, sagte Oettinger. „Der Krieg gegen die Ukraine wird nicht Putins letzter gewesen sein, wenn er ihn gewinnt oder mit Trump einen Deal erzielt.“ Oettinger sprach sich für höhere Verteidigungsausgaben für innere und äußere Sicherheit sowie für eine europäische Armee aus.

Neben der Verteidigung müsse sich eine neue Bundesregierung auch um die Stärkung der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit kümmern, sagte Oettinger. Deutschland sei nach drei Jahren Rezession inzwischen Schlusslicht in der Weltliga wirtschaftlicher Prosperität. Daraus resultiere ein demokratisches Problem. „Wenn Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz und die soziale Sicherheit haben, dann stärkt das die extremen Ränder links und rechts.“

Oettinger listete eine Reihe von Punkten auf, die Firmen inzwischen dazu veranlassten, dem Standort Deutschland den Rücken zu kehren. Dazu zählt aus seiner Sicht auch die im Schnitt hohe Zahl an Krankheitstagen. Auch die Zahl der Urlaubstage sei in Deutschland vergleichsweise hoch. „Wir arbeiten im Schnitt 200 Stunden weniger pro Jahr als in der Schweiz und sogar 300 Stunden weniger als in den USA. Da muss man sich nicht wundern, wenn der Standort für Investoren nicht mehr attraktiv ist.“ Prüfen müsse man auch eine längere Lebensarbeitszeit. „Die Rente mit 63 ist grundfalsch“, so Oettinger. So werde die Rentenbezugsdauer immer länger.

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"Die Arbeitswelt ist aber ein knallharter Wettbewerb, darauf muss die Schule vorbereiten." Günther Oettinger

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Im Bereich der Bildung warnte Oettinger davor, alles auf die Schulen abzuwälzen. Dass Deutschland bei der Pisa-Studie ins Mittelfeld abgerutscht sei, habe auch mit mangelnder Elternverantwortung zu tun. „Die geben ihre Kinder in der Schule ab und erwarten, dass denen alles beigebracht wird.“ Auch die Schulnoten seien über die Jahre entwertet worden und hätten für Arbeitgeber kaum noch Aussagekraft. „Die Arbeitswelt ist aber ein knallharter Wettbewerb, darauf muss die Schule vorbereiten.“

Europa brauche zudem ein gemeinsames Forschungsnetzwerk, um China und den USA die Stirn zu bieten, so Oettinger. Außerdem müssten Berichts- und Dokumentationspflichten auf europäischer und deutscher Ebene zurückgefahren werden. Oettinger: „Das kostet gar nix und verschafft Luft.“

Deutschland habe in den vergangenen Jahren die falschen Debatten zugelassen, kritisierte Oettinger und nannte die Stichworte Gerndern, Cannabis und Änderung des Geschlechtseintrags. Friedrich Merz sei der Richtige für den politischen Richtungswechsel, sagte der frühere EU-Kommissar am Ende – nicht ohne noch eine süffisante Bemerkung hinterherzuschieben: „Das Gute ist: Er wird es keine 16 Jahre machen. Das hat man ja bei Angela Merkel gesehen. Die ersten zwölf Jahre waren gut, die letzten vier waren nichts mehr.“


Copyright Schwäbische Zeitung - Ausgabe Biberach vom 19.02.2025

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