Klosterareal Laupheim: Schlüssel zur Wunschlösung liegt in Tübingen - 22.1.22
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Die Umnutzung und Nachverdichtung des Klosterareals beginnt. Anwohner, Stadt und Investoren sind sich einig, dass eine direkte Zufahrt von der Ulmer Straße sinnvoll wäre. Dafür braucht es die Zustimmung des Regierungspräsidiums, doch die Behörde lehnt das Vorhaben bisher ab.
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Von Roland Ray
Laupheim
Die Ruhe auf dem Klosterareal schwindet - seit Wochen bereiten Bautrupps tiefgreifende Veränderungen vor. Von Februar an wird das 1966 eingeweihte Domizil der Steyler Missionsschwestern schrittweise abgerissen, nur die Kapelle bleibt erhalten. Um sie herum entstehen ein Pflegeheim mit 90 Plätzen und angegliederten Apartments, ein Verbindungstrakt mit Seminarraum und ein Haus mit rund 30 betreuten Wohnungen, Tagespflege und Sozialstation. Die Stadtverwaltung will dem Pflegedienstleister Iller-Senio die Baugenehmigung in den nächsten Tagen zustellen. Iller-Senio möchte das Vorhaben bis Ende 2023 realisieren.
Die Bauarbeiten auf dem 2,65 Hektar großen Grundstück sind damit keineswegs abgeschlossen: Im Norden und Osten des Klosterareals will das Baltringer Unternehmen Matthäus Schmid anschließend neun Mehrfamilienhäuser mit insgesamt etwa 90 Wohnungen errichten.
Der gesamte Baustellenverkehr wird nach heutigem Stand über die Albert-Magg-Straße laufen, die von der Ulmer Straße abzweigt und an der Höhenanlage endet. Auch für die Verkehrsanbindung der künftigen Pflegeeinrichtungen und Wohnhäuser gibt es momentan keine Alternative. Ein Szenario, das Anlieger der seither verkehrsarmen Straße entsetzt. Sie erheben Einspruch und fordern, dass unverzüglich eine direkte Zufahrt von der Ulmer Straße zum Klosterareal geschaffen wird; ausschließlich über sie, so das Ansinnen, sollen die Baufahrzeuge und später die Autos von Bewohnern, Besuchern und Bediensteten rollen.
„Diese Zufahrt ist zwingend not- wendig“, haben Klaus Bäuerle, Simone Schmidt, Anne Obert, Claudia und Thomas Franke und Gunnar Bleyer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ betont - „dafür kämpfen wir“. Allein die 90 Wohnungen auf dem Klosterareal würden weit mehr als 100 zusätzliche Autos bedeuten, die regelmäßig die Albert-Magg-Straße passieren. Dazu der jahrelange Baustellenverkehr, Besucher, Lieferanten, Pflegepersonal, Parkplatzsuchende - und zwangsläufig Probleme an der Einmündung in die Ulmer Straße, wo das Einbiegen stadteinwärts zu Stoßzeiten schon jetzt Geduld verlangt. Es stehe zu befürchten, dass viele Autofahrer sich künftig Schleichwege durch das Wohngebiet „Judenäcker“ suchen.
Claudia Franke zitiert aus dem vom Bauausschuss gebilligten Entwurf eines „Städtebaulichen Vertrags zur Entwicklung des Klosterareals“ zwischen der Stadt Laupheim, den Investoren Iller-Senio und Schmid und den Steyler Missionsschwestern. Darin wird die Absicht bekundet, fünf der derzeit neun geplanten Wohnhäuser innerhalb von vier Jahren und die anderen binnen acht Jahren bezugsfertig herzustellen, gemessen ab dem Zeitpunkt, an dem der Bebauungsplan öffentlich bekanntgemacht wurde. Acht Jahre Baustellenverkehr vor der Haustür - „wenn ich 80 werde, wären das zehn Prozent meiner Lebenszeit“, sagt Claudia Franke konsterniert.
Acht Jahre: „Das ist nicht unser Plan“, versichert Fridolin Schmid, Mitglied der Geschäftsleitung. Ziel sei, alle Häuser im Zeitkorridor 2024/2025 zu bauen, es sei denn, die Nachfrage nach Wohnraum bricht ein. Wovon Schmid derzeit nicht ausgeht.
Die Stadtverwaltung verweist auf ein Gutachten, wonach die KFZ-Belastung in der Albert-Magg-Straße auch nach Ausführung der Bauvorhaben auf dem Klosterareal „vergleichsweise gering und dem Straßencharakter entsprechend verträglich“ sein werde. Prognostiziert werden 1320 Fahrzeuge pro Tag; nach der einschlägigen Richtlinie könnten Straßen dieser Qualität jedoch dreimal so viel aufnehmen, bis zu 4000 KFZ.
Die Verkehrszählung sei während des Lockdowns erfolgt, als deutlich weniger Autos unterwegs waren als sonst, wenden die Anwohner ein und fragen: „Wie kann man da auf realistische Werte kommen?“
Das beauftragte Fachbüro habe am 12. November 2020 Zahlen in der Albert-Magg-Straße ermittelt, zusätzlich zu den bereits erhobenen Daten im Rahmen des Mobilitätskonzepts für die Gesamtstadt, erklärte die Erste Bürgermeisterin Eva-Britta Wind dazu der SZ. Der Sondereffekt des Lockdowns sei ebenso in die Bewertung eingeflossen wie der Umstand, dass die Kapellenstraße damals wegen Sanierungsarbeiten teilweise gesperrt war.
Auf dem Papier reiche die Albert-Magg-Straße aus, den erwarteten zusätzlichen Verkehr aufzunehmen, resümiert Wind. Die Kriterien, nach denen so etwas beurteilt wird, müsse man freilich nicht zwingend verstehen, sagte sie im Silvesterinterview der „Schwäbischen Zeitung“, und: „Die geltenden Richtlinien, was vertretbar sei, sind häufig schwer vermittelbar, nicht nur in diesem Fall.“ Gezählt wird über 24 Stunden, nicht nur wenn viel los ist.
Man nehme die Sorgen der Anwohner ernst, versichert Wind. Sie setzt sich für eine Zufahrt von der Ulmer Straße aufs Klosterareal ein, die das komplette Grundstück erschließt - „das wäre sinnvoll“. Weil die Ulmer Straße Landesstraße ist, ist die Stadt allerdings auf die Zustimmung des Regierungspräsidiums angewiesen. Eine erste Anfrage vergangenes Jahr hat das RP abschlägig beschieden (siehe Kasten). Die Tübinger seien nicht gesprächsbereit gewesen. „Ich hätte mir gewünscht, dass man sich wenigstens mal zusammensetzt und die Argumente austauscht“, hadert die Erste Bürgermeisterin.
Die Stadt will einen neuen Anlauf nehmen, die Notwendigkeit der Zufahrt zu begründen. „Wir haben großes Interesse daran, dass sie kommt, und lassen nicht locker“, bekräftigt Eva-Britta Wind. Die benötigten Unterlagen lägen mit Abschluss des Baugenehmigungsverfahrens nun vor. „Auf dieser Grundlage werden die Verkehrsplaner die Verkehrssituation nochmal prüfen und die einzelnen Varianten durchrechnen.“ Sobald das geschehen sei, könne ein mit guten Argumenten gewappneter Antrag beim RP erfolgen. Ein „Türöffner“ könnte in diesem Zusammenhang das Bestreben des Investors Schmid sein, im nördlichen Teil des Klosterareals einen Bio-Lebensmittelmarkt an der Ulmer Straße anzusiedeln, mit Stellplätzen auf dem Gelände. Das funktioniert nur mit einer direkten Zufahrt von der Landesstraße.
Auch Dominik Rommel, Geschäftsführer von Iller-Senio, und Fridolin Schmid befürworten eine solche Zufahrt. Sie würde die Verkehrssituation entspannen, sagt Schmid - „wir sind mit den Anwohnern und der Stadt in einem Boot“. „Das wäre für uns alle die beste Lösung, auch für später, für das gesamte Quartier“, pflichtet Rommel bei. „Wenn das RP zustimmt, können wir das sofort so machen. Die Pläne liegen in der Schublade.“ Einige Meter links der Grundstücksmitte, von der Ulmer Straße aus betrachtet, würde Rommel die Zufahrt platzieren wollen.
Nach Lage der Dinge werde man nun zumindest den Pflegeheimbau über die Albert-Magg-Straße abwickeln, sagt er. Sollte das RP grünes Licht geben, könne für spätere Bauabschnitte umgestellt werden. Eine Baustellenzufahrt von der Ulmer Straße sei beantragt, aber abgelehnt worden.
Für den Fall, dass eine zentrale Anbindung des Klosterareals an die Ulmer Straße genehmigt wird, wolle man in der Albert-Magg-Straße keine offene Einfahrt einrichten, sondern einen versenkbaren Poller installieren, berichtet Rommel. Dann könnten dort nur Fußgänger, Radfahrer und ausgewählte Fahrzeuge aufs Gelände.
Mit der Stadt hat Rommel abgestimmt, dass auf dem Seitenstreifen an der Albert-Magg-Straße - wo auch bisher geparkt wird - 31 Autostellplätze quer zur Fahrbahn hergestellt werden, 16 öffentliche und 15 für Mitarbeitende und Besucher des Pflegeheims, das der Straße am nächsten sein wird. Das helfe, den Baumbestand auf dem Klostergelände zu schonen, heißt es. Es sei unsäglich, kritisieren Anwohner, dass die in ihren Augen überdimensionierten Neubauten so nah an die Grundstücksgrenzen rückten, dass alter Baumbestand geopfert werden müsse. Zwischen den Stellplätzen sollen nach Angaben des Rathauses zehn Bäume gepflanzt werden.
In Sachen direkte Zufahrt von der Ulmer Straße haben Klaus Bäuerle und seine Mitstreiter den Landtagsabgeordneten Thomas Dörflinger um Unterstützung gebeten. „Ich kann das Anliegen nachvollziehen und werde mich gern für eine gute Lösung einsetzen“, sagt der CDU-Politiker. Bemerkenswert sei, dass alle Beteiligten vor Ort dasselbe wollten - ein starkes Signal, das es einfacher mache, Gespräche zu führen. Zunächst jedoch sei die Stadt am Zug, einen neuen Antrag zu stellen; sobald dieser beim Regierungspräsidium vorliege, könne er aktiv werden, sagt Dörflinger.
Das Dreifaltigkeitskloster ist heute Altersruhesitz der Steyler Ordensfrauen in Süddeutschland. Der Altersschnitt der Bewohnerinnen wächst. „Das Haus wird in absehbarer Zeit zu groß für uns und damit zu einer finanziellen Belastung“, erklärte die Provinzleiterin Anna-Maria Kofler. Deshalb verkauft der Orden das Grundstück an Iller-Senio und Matthäus Schmid. Die Schwestern werden einen Teil der Pflegeplätze belegen.
Das sagt das Regierungspräsidium:
"Eine Ausnahme ist nicht begründbar und folglich auch nicht möglich"
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Das Regierungspräsidium Tübingen (RP) sagt nach heutigem Stand „nein“ zu einer direkten Anbindung des Klosterareals an die Ulmer Straße/L 265. Das hat die Behörde auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“ bekräftigt. Grundsätzlich gelte, dass an hoch belasteten Landesstraßen, „wenn irgend möglich“, aus Gründen der Verkehrssicherheit keine neuen Anschlüsse geschaffen werden sollen, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme.
In Sachen Klosterareal führt das Regierungspräsidium aus: „Da sich das Plangebiet außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt von Laupeim an der L 265 befindet, ist es straßenrechtlich nach Paragraf 22 des baden-württembergischen Straßengesetzes zu beurteilen. Außerhalb des Erschließungsbereichs von Landesstraßen ist danach die Anlegung neuer Zufahrten im Interesse des überörtlichen Verkehrs grundsätzlich ausgeschlossen.“
Mit durchschnittlich 12 000 Kraftfahrzeugen pro Tag, davon rund zehn Prozent Schwerverkehr, sei die Ulmer Straße für eine Landesstraße überdurchschnittlich stark belastet, so das RP. Zwischen Klosterareal und Landesstraße verlaufe zudem ein Geh- und Radweg. Die Albert-Magg-Straße sei als Haupterschließungsstraße ausgebaut und „aus straßenbaulicher und verkehrstechnischer Sicht geeignet und leistungsfähig genug, den Verkehr aus dem und zum Plangebiet aufzunehmen“.
Eine Ausnahme nach Paragraf 22 des baden-württembergischen Straßengesetzes „ist somit nicht begründbar und folglich auch nicht möglich“, lautet die aktuelle Aussage der Tübinger Behörde. Einem neuen Anschluss des geplanten Baugebiets an die Landesstraße könne deshalb von Seiten des RP nicht zugestimmt werden. „Dies wurde der Stadt im Juli 2021 mitgeteilt, die Aussage hat weiterhin Bestand.“