Beim Marktführer läuft wieder alles "normal" - 8.8.20
Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut lobt Dürmentinger Firma Schlegel und nimmt Kritik an Bürokratie entgegen
Von Berthold Rueß
Dürmentingen - Als „Hidden Champion“, einen heimlichen Weltmarktführer, bezeichnete Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut die Dürmentinger Firma Schlegel Elektrokontakt. Als Vertreter des Mittelstands zähle das familiengeführte Unternehmen dank seiner Unabhängigkeit von negativen Entwicklungen zum Rückgrat der Wirtschaft. Beim Besuch im Rahmen ihrer Sommertour nahm die CDU-Politikerin auch einige Anregungen mit, die ihr Geschäftsführer Christoph Schlegel ans Herz gelegt hatte.
Corona war auch bei diesem Treffen ein unausweichliches Thema. Seniorchef Eberhard Schlegel hatte Hoffmeister-Kraut und weiteren Landespolitikern im Südwesten bereits im April einen Brandbrief geschickt. Darin äußerte er seine Sorge um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und bat um eine „Sperre oder ein Verbot von coronabedingten Insolvenzverfahren über einen längeren Zeitraum“. Das sollte sich über die gesamte Wertschöpfungskette bis zu den Banken erstrecken. Die Wirtschaftsministerin verwies auf die geplante Aussetzung der Anzeigepflicht und das große Bürgschaftsprogramm, mit dem die Banken bei Darlehen unterstützt werden. Die Finanzverwaltungen seien angewiesen, die Unternehmen durch Stundungen zu entlasten. Der Einzelhandel werde über Soforthilfen unterstützt. 240 000 Unternehmen und Soloselbstständige seien mit 2,24 Milliarden Euro gefördert worden; 40 Millionen Euro seien schon wieder zurückgezahlt worden, weil die befürchtete Schieflage nicht eingetreten sei. Für einige Branche wie Schausteller oder Stadthotels, die nicht oder stark eingeschränkt arbeiten können, sei sei die Lage aber nach wie vor schwierig.
Dank der Unabhängigkeit von der krisengebeutelten Autoindustrie hat die Firma Schlegel Elektrokontakt die Coronakrise bislang weitgehend unbeschadet überstanden. Zwar wurde zeitweise auch Kurzarbeit angeordnet, aber vornehmlich zur Einhaltung der Hygieneregeln. Der Auftragsbestand sei gegenüber dem Vorjahr kurzzeitig um etwa zehn Prozent eingebrochen, informierte Christoph Schlegel, die Auslieferung lag bei 90 Prozent. „Seit August läuft alles wieder normal“. Das freue sicher auch die Gemeinde wegen der Gewerbesteuerzahlung, merkte die Ministerin an, was Bürgermeister Dietmar Holstein bestätigte: „Das tut uns sehr, sehr gut.“
Der Geschäftsführer zeigte die Entwicklung des Unternehmens auf, das in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiern kann. Schon die Sägemühle des Urgroßvaters sei ein „kleiner Leuchtturm“ gewesen, führte Christoph Schlegel aus: Dank eines Stromgenerators hielt hier die Elektrizität ihren Einzug in Dürmentingen. Großvater Georg Schlegel habe kurz vor Kriegsende mit einem „Spin-Off“ den Grundstein für die weitere Entwicklung gelegt. Der Elektroingenieur hatte bereits 1925 eine Elektroinstallationsabteilung im Elektrizitätswerk seines Vaters gegründet, mit der er sich am 1. April 1945 selbständig machte. Erstes eigenes Produkt war eine Reihenklemme. 1952 wurde mit der Herstellung von „Befehlsgeräten“ begonnen. In einem Patentstreit um den Drucktaster setzte sich Schlegel gegen AEG durch. Mittlerweile hält das Dürmentinger Unternehmen rund 40 Patente.
Schlegel ist mit einem Netz von Vertriebspartnern und Handelsvertretern in mehr als 80 Ländern tätig. Bereits in den 80er-Jahren wurden Niederlassungen in Japan, in Wien und in Singapur gegründet. Die Produkte finden Verwendung in Bahnen, Jachten, Aufzügen, Werkzeugmaschinen, in der Pharmazie und in der Medizintechnik. Ein Projekt ist derzeit die neue Brücke San Giorgio in Genua, deren Flucht- und Wartungsröhren mit der Technik aus Dürmentingen ausgestattet wird. Zu den Kunden zählen namhafte Hersteller wie Canon, Carl Zeiss oder Liebherr.
Produziert wird bei einer hohen Fertigungstiefe über alle Prozessschritte aber ausschließlich in Dürmentingen. Lediglich die Grundstoffe werden zugekauft. Am Standort Dürmentingen wurde mehrmals gebaut und erweitert. Zuletzt wurde 2013 mit einem Neubau die Produktionsfläche verdoppelt. Hier sind rund 250 Mitarbeiter beschäftigt. Der Umsatz lag im vergangenen Jahr bei 22,5 Millionen Euro. Der „durchschnittliche Mitarbeiter“, hat Schlegel errechnet, ist 44,5 Jahre alt, seit 11,5 Jahren im Unternehmen - und eine Frau. Der Frauenüberschuss soll sich künftig auch stärker in der Führungsstruktur widerspiegeln, sagte Schlegel. Stolz vermeldete er, dass eine Auszubildende 2018 als landesbeste Absolventin abgeschnitten habe.
Ein Alleinstellungsmerkmal von Schlegel, merkte die Ministerin an, sei das Design der Produkte wie Taster, Schalter, Reihenklemmen, und Bedientableaus. Dafür gab es bereits über 90 Auszeichnungen, so 2014 den German Design Award, den sonst namhafte Hersteller wie Porsche erhalten. Jüngste Anerkennung ist der German Innovation Award für einen Prüfautomaten.
Was dem Unternehmen Schwierigkeiten bereite, sei die Bürokratie, merkte Christoph Schlegel an. Dazu zähle, dass man den Patentschutz innerhalb Europas für jedes Land einzeln beantragen müsse - was, so kommentierte Hoffmeister-Kraut, im Sinne des einheitlichen Binnenmarkts „Schwachsinn“ sei. Aluminiumlegierungen gehören zu den wichtigsten Grundstoffen bei Schlegel. Ab Mai 2021 wird der Grenzwert des zulässigen Bleigehalts von vier auf ein Promille reduziert. „Was passiert mit dem Material, das noch im Markt ist?“, wollte der Geschäftsführer wissen. Zum Schluss kam man wieder auf Corona zurück: Schlegel will bei der Messe in Nürnberg ausstellen, hat aber keine Anlaufstelle, die das Konzept absegnet. „Wir werden die Themen aufgreifen“, versicherte Nicole Hoffmeister-Kraut beim Abschied, nicht ohne noch ein Kompliment für Unternehmenskultur und Innovationsleistung auszusprechen: „Sie sind ein tolles Team.“