Der Zug ist abgefahren - 23.10.19
DB Netz gibt Koordination von Anschlusszügen auf - Das hat Folgen für Reisende im Südwesten
Von Kara Ballarin
Stuttgart - „Der Anschluss kann leider nicht warten.“ Bahnreisenden graut es vor dieser Durchsage im Zug. Schon heute verpasst jeder 20.Fahrgast einen Anschluss, wenn er mit der Bahn durch Baden-Württemberg reist. Das könnte bald noch häufiger passieren, befürchten Politiker und Fahrgastverbände. Das steckt dahinter:
Wie häufig verpassen Reisende im Südwesten den Anschluss?
An den 20 wichtigsten Bahnhöfen im Land haben knapp 95 Prozent der Anschlüsse in den ersten acht Monaten dieses Jahres geklappt, so das Verkehrsministerium. Das entspricht in etwa dem Niveau der vergangenen Jahre. Die Werte sind je nach Bahnhof aber sehr unterschiedlich. Überdurchschnittlich gut aufeinander abgestimmt waren die Züge etwa am Friedrichshafener Bahnhof, leicht unter dem Durchschnitt am Aalener Bahnhof. Auf dem drittletzten Platz landete indes der Bahnhof Aulendorf. Dort erreichten im selben Zeitraum nur knapp 92 Prozent der Reisenden ihre Anschlüsse. Hier waren die Werte auch in den vergangenen Jahren im unteren Bereich. Besonders schlecht schneidet der Schorndorfer Bahnhof ab. Dort wird fast jeder fünfte Anschluss verpasst. Am Stuttgarter Hauptbahnhof ist jeder zehnte Zug schon weg.
Wer entscheidet, ob ein Anschlusszug wartet?
Noch tut das im Südwesten die DB Netz AG. Damit ist aber bald Schluss, erklärt der Biberacher Landtagsabgeordnete und CDU-Verkehrsexperte Thomas Dörflinger. Er hat bei Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) nachgehakt, was das für die Bahnreisenden bedeutet. Die Antworten von Hermanns Ministerialdirektor Uwe Lahl liegen der „Schwäbischen Zeitung“ vor. Darin spricht Lahl von einer „zentralen Funktion des Infrastrukturbetreibers bei der Anschlusssicherung“. Das hundertprozentige Tochterunternehmen der Deutschen Bahn ist zunächst für das Schienennetz zuständig. In Baden-Württemberg koordiniert die DB Netz aber zudem, ob ein Anschlusszug auf einen verspäteten Zug warten soll oder nicht. Diese Aufgabe gibt sie im Dezember auf.
Warum will die DB Netz diese Aufgabe abgeben?
Baden-Württemberg ist das letzte Bundesland, in dem das Unternehmen diese Aufgabe überhaupt noch erfüllt, erklärt ein Bahn-Sprecher auf Nachfrage. Das stimmt nur zum Teil, auch Bereiche von Rheinland-Pfalz etwa sind von der Umstellung betroffen. „Die Verantwortung für die Anschlusssicherung liegt bei den Eisenbahn-Verkehrsunternehmen“, so der Bahnsprecher. „Nur die Eisenbahn-Verkehrsunternehmen haben einen Überblick darüber, ob sich Reisende im Zug befinden, die bestimmte Anschlüsse erreichen müssen, und wie hoch die Anzahl ist“, erklärt er. Dem widerspricht Fritz Engbarth vehement. Er ist Sprecher des rheinland-pfälzischen Zweckverbands ZSPNV Süd. Der Fahrdienstleiter der DB Netz am jeweiligen Bahnhof sei der richtige Koordinator für die Aufgabe. „Der kennt die Züge, kennt die ungefähre Zahl der Fahrgäste, die den Anschluss brauchen. Und der darf dann nichts mehr tun. Das ist verrückt“, so Engbarth.
Wie gehen andere Bundesländer mit dieser Umstellung um?
Engbarths Bereich, das südliche Rheinland-Pfalz, muss sich zum Teil ebenfalls auf die Änderung bei der DB Netz Südwest einstellen. Er kennt beide Varianten, denn in einem anderen Teil seines Gebiets ist die DB Netz Mitte aktiv - und die hat schon lange umgestellt. Die Folge seien Reibungsverluste bei der Abstimmung, weil der zentrale Koordinator fehle, so Engbarth. Ob Reisende dort häufiger den Anschluss verpassen, könne er nicht sagen. In Rheinland-Pfalz würden dazu keine Zahlen erhoben. Auch Bayern kann keine Daten zur Anschlusssicherung liefern. Die dortige Eisenbahngesellschaft habe erst 2012 mit entsprechenden Messungen begonnen, erklärt eine Sprecherin. Das war einige Jahre, nachdem die DB Netz ihre Koordinatorenrolle aufgegeben hatte. Für Hessen erklärt eine Sprecherin des Rhein-Main-Verkehrsverbunds, dass die direkte Kommunikation zwischen den Eisenbahnbetreibern funktioniere. Der verspätete Zug melde dem Anschlusszug, dass Reisende umsteigen wollen. Letzterer entscheide, ob er warten könne. Bayern setzt hierbei auf die Digitalisierung: Per App sollen Reisende ihren gewünschten Anschluss melden.
Wird es im Südwesten schwieriger, Anschlusszüge zu erreichen?
Der Bahnsprecher sagt Nein. Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigten keine Verschlechterung. Die Befürchtungen in Baden-Württemberg sind indes groß. Ministerialdirektor Lahl erwartet „eine spürbare Verschlechterung der Anschlusssicherheit“. Ähnlich äußert sich Matthias Lieb, Vorsitzender des Fahrgastbeirats in Baden-Württemberg. Er befürchtet schwierige Abstimmungsprozesse. „Zu viele Akteure sind eingebunden, die in sehr kurzer Zeit entscheiden müssen. Das kann nur schiefgehen.“ Bisher sei das konkret vor Ort von der DB Netz entschieden worden - niemand sonst könne diese zentrale Aufgabe übernehmen. Zieht sich die DB Netz zurück, gehe das auf Kosten der Flexibilität, sagt Lieb. Denn die einzige Möglichkeit sei es dann, vorab Standards festzulegen, wie lange ein Zug warten soll. Und daran müssten sich dann alle halten. Der CDU-Verkehrsexperte Dörflinger befürchtet: „Die Pünktlichkeitswerte werden sich deutlich verschlechtern und die Unzufriedenheit deutlich zunehmen“ - und das zu einer Zeit, in der die Menschen dem Zugfahren immer positiver gegenüberstünden.
Wer kümmert sich also darum, dass der Anschlusszug wartet?
Schon heute treffen sich jährlich alle Akteure und legen fest, wie lange Züge auf andere warten sollen. Gerade bei knappen Umstiegszeiten ist dies wichtig. Die Frage ist jedoch, wer künftig kurzfristige Entscheidungen zum Warten oder Abfahren trifft, wenn ein Zug darüber hinaus wenige Minuten unpünktlich ist. Im Stuttgarter Verkehrsministerium gibt es hierzu bislang keine Lösung. Wöchentlich treffen sich die Eisenbahnunternehmen im Ministerium - darunter etwa DB Regio und die landeseigene SWEG mit Sitz in Lahr, aber auch private Betreiber wie Go Ahead und Abellio. Zu einem der nächsten Treffen soll auch die DB Netz eingeladen werden, sagt ein Sprecher von Minister Hermann. Ob diese sich umstimmen lässt, scheint indes fraglich.