"Berlin, wir kommen" - 25.11.2019

Landwirte protestieren gegen Agrarpolitik und Anschuldigungen - Weit über 100 Traktoren machen in Laupheim Station

In langen Reihen standen die Traktoren auf dem Kulturhaus-Parkplatz. (Foto: Roland Ray)

Von Roland Ray

Laupheim - Tausende Traktoren rollen auf Berlin zu. Am Dienstag wollen Landwirte aus ganz Deutschland bei einer Großkundgebung am Brandenburger Tor gegen die in ihren Augen „permanente negative Stimmungsmache“ zu Lasten ihres Berufsstands und die Agrarpolitik der Bundesregierung protestieren. Dazu aufgerufen hat die Initiative „Land schafft Verbindung“ (LSV). In Oberschwaben haben sich bereits am Sonntag Hunderte Bauern an einer Staffelfahrt zur Hauptstadtdemo beteiligt. Laupheim war Etappenziel.


„Ohne Bauern keine Zukunft“

Für gewöhnlich steht Kevin Schönbucher aus Vilsingen, Kreis Sigmaringen, morgens um sieben im Stall. Am Sonntag ist er schon um 4.30 Uhr auf den Beinen, versorgt die Kühe, tankt den Traktor und befestigt vorne an der Zugmaschine ein selbst geschweißtes grünes Kreuz aus Metall. Um 6.30 Uhr bricht er auf, trifft in Pfullendorf Kolleginnen und Kollegen; ihr gemeinsames Ziel ist Laupheim. Mit jedem Kilometer werden es mehr, bis von Friedrichshafen kommen sie gefahren.

Kurz nach zehn treffen sie in rascher Folge auf dem Kulturhaus-Parkplatz ein und stellen ihre Traktoren in langen Reihen ab. Annähernd 130 Fahrzeuge mögen es sein. „No Farmer No Future“ heißt es auf Plakaten, und „Regionale Lebensmittel brauchen regionale Landwirtschaft“. Viele Teilnehmer der Staffelfahrt haben Angehörige mitgebracht. David, 18 Monate, Sohn von Jonathan Stetter aus Oberholzheim, zeigt mit einem Schild am Bulldog-Buggy Flagge: „Darf ich auch noch Landwirt werden?“, steht darauf geschrieben.


„Nicht mehr faktenbasiert“

Klaus Keppler vom LSV-Organisationsteam Biberach begrüßt die Menge und erklärt, dass die Initiative „Land schafft Verbindung“ in Norddeutschland entstanden ist und sich in kürzester Zeit republikweit ausgebreitet hat. Erst am 14. November gab es eine Großdemo in Hamburg, anlässlich der Umweltministerkonferenz. Nächsten Mittwoch, sagt Keppler, Landwirt in Uttenweiler, solle nun Berlin zum „vielleicht weltweit größten Traktor-Parkplatz“ werden.

Die Landwirte wollen sich Gehör verschaffen, und Keppler nennt Gründe, warum. Man habe es satt, weder fach- noch sachgerecht an den Pranger gestellt zu werden und Buhmann zu sein für Politik, Gesellschaft und Verbände. „Politische Entscheidungen werden nicht mehr fakten-basiert getroffen, sondern nach vermeintlicher Stimmungslage in der Bevölkerung“, beklagt Keppler. „Die Stimmung wird von ein paar wenigen gemacht, die laut genug schreien. Aber nicht alles, was hinausgeschrien wird, ist wahr.“

Keineswegs wollten sich die Landwirte vor ihrer Verantwortung für Umwelt und Naturschutz drücken, betont der Redner. „Wir wehren uns aber gegen einseitige und unvollständige Betrachtungsweisen, wie sie nur allzu häufig in den Medien dargestellt werden.“ So seien viele schnell dabei, die moderne oder auch industrielle Landwirtschaft als Schuldige für das Insekten- und Artensterben abzustempeln, „und es wird das Gefühl vermittelt, wenn nur der Anteil an Biobetrieben hoch genug ist, ist das Problem gelöst“. Themen wie Lichtverschmutzung oder - „noch viel gravierender“ - Mobilfunkstrahlung blieben dagegen außen vor. „Wer meint, das wäre ohne negative Auswirkungen, soll einfach einen Imker fragen, ob er ein eingeschaltetes Handy vier Wochen auf einen Bienenkasten legen darf.“

Thema Nitrat im Trinkwasser: Auch dafür sei die Landwirtschaft in den Augen vieler alleinverantwortlich, empört sich Keppler. „Wo aber sind die Berichte darüber, was Kläranlagen an Stickstoff und Phosphat Tag für Tag in die Bäche und Flüsse ableiten? Wo ist die Berichterstattung über immer weiter steigende Entnahmemengen der Wasserversorger und die Verbindung zu den Nitratgehalten?“

Thema Kohlendioxid: Werde der Ertrag der Fluren durch reduzierte Düngung und fehlende Gesunderhaltung der Pflanzen reduziert, werde der Atmosphäre weniger CO2 entzogen und weniger Sauerstoff gebildet, laute hier die Gleichung.

Die Landwirtschaft werde in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht mehr verstanden, bedauert der CDU-Bundestagsabgeordnete Josef Rief, der zu den Versammelten spricht. Es sei „höchste Zeit, die Dinge zurechtzurücken“. Eine Menge falscher Informationen sei in Umlauf, zum Teil aus niederen Beweggründen. Die Bevölkerung sei aber nicht radikal, sondern sie werde radikalisiert. Die Landwirte müssten für ihre Anliegen einstehen - und, wo erforderlich, Fehlentwicklungen korrigieren.

Ein Riss durch Stadt und Land

„Es geht ein Riss durch die Gesellschaft, durch Stadt und Land“, stellt der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger fest. Er und andere Mandatsträger in Oberschwaben hätten sich früh gegen das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ positioniert, weil es im gesamten Wortlaut ausschließlich um die Landwirtschaft gehe. „Wo ich kann, werde ich Sie gern unterstützen“, sicherte Dörflinger den Bauern zu.

„Ich mache das mit Herzblut“

Auf drei Routen sind Landwirte am Sonntag bei der Staffelfahrt in Baden-Württemberg unterwegs. Von Laupheim geht es weiter über Ulm und Aalen/Westhausen zum Tagesziel Markelsheim bei Bad Mergentheim. Jeder Teilnehmer legt selbst fest, wo er sich einreiht und wie weit er mitfährt. Kevin Schönbucher hat vor, irgendwo bei Ulm umzudrehen - abends muss er wieder in den Stall. Der 32-Jährige ist Nebenerwerbslandwirt und will eine Zukunft in diesem Beruf haben: „Ich mache das mit Herzblut und möchte es weiterhin machen.“

Bevor die Motoren wieder angelassen werden für die nächste Etappe, präsentieren Landwirte bei einer „Stabübergabe“ Forderungen der Initiative „Land schafft Verbindung“, darunter diese: Das vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte Agrarpaket müsse abgeändert und die Düngeverordnung überarbeitet werden. Die Landesregierung soll sich für eine einheitliche europäische Agrargesetzgebung stark machen und den Bürokratieabbau „nicht nur predigen, sondern leben“. Ein Dorn im Auge sind den Landwirten auch Freihandelsabkommen, die billige Importware ins Land schwemmen; hier verlangen sie künftig ein Mitspracherecht.

Viele Teilnehmer der Staffelfahrt signieren das große grüne Kreuz. Es soll vors Brandenburger Tor und wieder zurück nach Oberschwaben.

Dann rollen die Traktoren weiter, wie an der Schnur gezogen. Martina Magg-Riedesser aus Achstetten ist zuversichtlich, dass der Protest Wirkung zeigt: „Wir werden wahrgenommen und auch ernst genommen“, ruft sie ihren Kolleginnen und Kollegen zu. „Berlin, wir kommen!“

Copyright Schwäbische Zeitung - Ausgabe Biberach vom 25.11.2019

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