Politiker werden immer häufiger Opfer - 19.6.18
Fast alle zwei Tage werden Amts- und Mandatsträger im Südwesten angegriffen
Von Kara Ballarin
Stuttgart - Beschimpft, beleidigt, geschlagen: Der Umgang mit Politikern ist in den vergangenen Jahren rauer geworden - auch in Baden-Württemberg. Das bestätigt das Innenministerium auf Anfrage des Biberacher CDU-Landtagsabgeordneten Thomas Dörflinger. Die Justizminister der Länder fordern vom Bund, die Gesetze zu verschärfen. Darauf können sie offenbar lange warten.
Die Freiburger haben am 6. Mai den von der SPD gestützten Martin Horn zum Oberbürgermeister gewählt. Seine Freude über den Sieg kann der 33-Jährige nur kurz genießen. Auf seiner Wahlparty schlägt ihm ein Mann mit der Faust ins Gesicht. Eine Platzwunde unter dem Auge muss im Krankenhaus genäht werden, die Nase ist gebrochen, ein Zahn zum Teil abgekracht. "Das war die Initialzündung", sagt der CDU-Abgeordnete Dörflinger. Er hat beim Innenministerium angefragt, wie häufig Politiker attackiert werden.
Immer mehr Körperverletzungen
Die Antwort hierauf ist nicht einfach. Die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zeigt, wie oft Politiker angegriffen wurden. Beleidigungen oder Verleumdungen sind aber nicht erfasst. Die PKS zeigt, dass die Übergriffe auf Politiker deutlich zugenommen haben - von sechs Fällen im Jahr 2012 auf 21 im vergangenen Jahr. Darunter sind 14 Körperverletzungen, neun davon galten als gefährlich oder schwer. Im Jahr 2016 gab es keine einzige, 2015 zwei.
Hilfreich ist eine weitere Statistik: die des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes. Seit dem vierten Quartal 2015 verzeichnet sie in Baden-Württemberg alle Angriffe gegen "Amts- und Mandatsträger" - gegen Abgeordnete, Bürgermeister und Gemeinderäte. Zwischen dem 1. Oktober 2015 und dem 31. Dezember 2018 waren diese demnach 368-mal Opfer von Straftaten. Das entspricht grob einem Übergriff alle zwei Tage.
Neuerdings lässt die Statistik einen genaueren Blick zu: Seit Januar werden Straftaten gegen Politiker und Mitarbeiter einer Partei gesondert erfasst. 16 Fälle im ersten Quartal 2018 verzeichnet die Statistik. Darunter sind fünf Fälle von Volksverhetzung oder Gewaltdarstellung aus der rechten Szene, fünf Beleidigungen von rechts, links und aus anderen Gründen sowie fünf Sachbeschädigungen, die in der Mehrheit Anhänger der linken Szene verübt haben. Einen registrierten Fall von Bedrohung/Nötigung verübte ein Mitglied des rechten Milieus.
Seit 2017 erfasst das Innenministerium zudem gemeldete Hasspostings im Internet. Von den 160 Hasskommentaren im vergangenen Jahr waren allein 120 volksverhetzend, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden. In 16 Fällen richteten sich Hasspostings gegen Amts- und Mandatsträger. Im ersten Quartal 2018 waren es fünf von insgesamt 23.
Thomas Dörflinger hat bislang keine Übergriffe erlebt, wie er sagt. Lange schon gehört er dem Gemeinderat von Ummendorf bei Biberach an, seit 2016 sitzt er nun auch für die CDU im Landtag. "Ich stelle schon fest, dass die Sprache, gerade in sozialen Netzwerken, rauer geworden ist", sagt er. Wenn man sich kenne, etwa im Dorf, gehe man anders miteinander um. "Jetzt bekomme ich E-Mails in einer Form, die man nie in einem Vier-Augen-Gespräch wählen würde."
Wie kann man Menschen, die sich politisch engagieren, besser schützen? Auch das wollte Dörflinger wissen - und hat eine "ärgerliche" Antwort erhalten, wie er sagt. Vor fast genau einem Jahr haben sich die Justizminister der Länder auf einer Konferenz mit dem Thema befasst: mit den Ehrverletzungsdelikten, also mit Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung. Ein Paragraf im Strafgesetzbuch behandelt konkret derlei Angriffe gegen Personen des öffentlichen Lebens. Die Länderjustizminister gaben dem Bundesjustizminister - damals noch Heiko Maas (SPD) - den Auftrag zu prüfen, ob die Strafen in diesem Bereich verschärft werden könnten.
Berlin lässt auf sich warten
Eine Antwort steht nun seit einem Jahr aus, erklärt Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) und sagt: "Ich erwarte, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Prüfaufträge, die auf Justizministerkonferenzen beschlossen werden, ernst nimmt und zeitnah bearbeitet. In einem kooperativen Bundesstaat muss man davon ausgehen, dass Bund und Länder bei der Suche nach den besten Lösungen zusammenarbeiten." Sein Appell scheint in Berlin zu verhallen. Die Prüfung dauere noch an, erklärt ein Sprecher von Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) auf Anfrage. "Vorrangig sind zunächst die Vorhaben, die im Koalitionsvertrag vorgesehen sind." Und darin sei das Anliegen der Länderjustizminister nicht enthalten.