Nur wer sich einbringt, entscheidet mit - 22.9.18
Bei einer Podiumsdiskussion schildern Menschen, warum sie sich politisch engagieren
Von Daniel Häfele
Biberach - Biberach - "Würden Sie ein politisches Ehrenamt übernehmen?" Viele winken bei dieser Frage ab. Aber ohne Beteiligung funktioniert Demokratie nicht, weshalb die "Schwäbische Zeitung" in Kooperation mit der Kreissparkasse (KSK) Biberach die Themenwoche "Demokratie - ich mach' mit!" organisiert hat. Den Schlusspunkt setzte eine von Gerd Mägerle (SZ-Redaktionsleiter) moderierte Podiumsdiskussion im KSK-Foyer am Zeppelinring. Fünf Gesprächspartner schilderten vor Besuchern unter anderem, warum sich politisches Engagement lohnt:
"Ich hatte nie vor, Politik zu meinem Beruf zu machen", sagt der CDU-Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Biberach, Thomas Dörflinger. Als Peter Schneider nicht mehr für den Landtag kandidierte, habe die Partei zunächst zwei "sehr gute Kandidaten" auserkoren. Zu diesem Zeitpunkt habe er nicht mit dem Gedanken gespielt, selbst seinen Hut in den Ring zu werfen. "Ich war ein einfaches CDU-Mitglied", so Dörflinger auf dem Podium, das von KSK-Direktor Steffen Mayer eröffnet worden war.
Ein paar Mal sei er angesprochen worden, ob er sich denn nicht eine Kandidatur vorstellen könne, schildert der Ummendorfer. Die Initialzündung war dann ein Video der Poetry-Slammerin Julia Engelmann. Ihr Gedicht mit dem Titel "Eines Tages, Baby, werden wir alt sein!" handelt davon, was man im Leben vielleicht gemacht hätte, es sich dann aber doch nicht zutraute. "Ich wollte meinen Kindern später nicht erzählen, dass ich vielleicht einmal für den Landtag kandidiert hätte. Ich habe es einfach gemacht", sagt Dörflinger. Er tauschte seinen Job bei der Sparkasse gegen ein Mandat im Landtag.
Auch bei der Biberacher Stadträtin Stefanie Etzinger (Freie Wähler) war die Entscheidung, für ein politisches Amt zu kandidieren, ein längerer Prozess. Nach mehreren, teils hartnäckigen Nachfragen habe sie sich 2014 auf die Liste setzen lassen. "Mit der Info: Beim ersten Mal wird man eh nicht gewählt", sagt Etzinger, deren Vater Rainer Etzinger für die CDU am Ratstisch sitzt. "Und dann wurde ich gewählt." Viele Unterlagen müsse sie als Stadträtin lesen, sich auch mit Themen beschäftigen, die ihr bislang fremd waren. "Ja, ich habe auch Google gebraucht, um manche Abkürzungen in den Unterlagen zu verstehen", berichtet sie. Anfänglich befürchtete sie, dass Mandat könnte zu einem Vollzeitjob ausarten: "Der Gemeinderat ist ein Ehrenamt. Man geht ja ganz normal acht Stunden zur Arbeit." Trotzdem engagiere sie sich gerne politisch, schließlich drehe sich die Arbeit um Biberach, ihren Heimatort. Ob sie als Stadträtin an jeder Ecke angesprochen wird? "Nein, ich kann mich noch zügig durch Biberach bewegen", scherzt Etzinger.
Eine Arbeit als Stadtrat kann sich Hagen Vollmer, der als Vorsitzender des Stadtforums einen Bürgerentscheid über die Zukunft des Pestalozzihauses initiierte, nicht vorstellen. Der Gemeinderat ist aus seiner Sicht zu häufig im Rathaus und zu selten draußen auf der Straße. "Außerdem sehe ich in der politischen Arbeit zu viel Lobbyismus und Beeinflussung", sagt Vollmer. Dennoch werbe er bei den Mitgliedern des Stadtforums dafür, sich bei der Kommunalwahl 2019 aufstellen zu lassen: "Eine eigene Liste machen wir aber nicht." Er engagiere sich als Vorsitzender des Stadtforums aus Unzufriedenheit über politische Entscheidungen: "Wenn man nichts unternimmt, ist die Tür irgendwann zu."
Bei Alina Welser entstand während ihrer Zeit auf dem Sportinternat der Wunsch, sich einzumischen. "Aber ich war schon immer politisch interessiert", sagt die Vorsitzende der Grünen Jugend. Die 20-Jährige ist davon überzeugt, dass es vielen anderen jungen Menschen ähnlich ergeht: "Die Parteien erreichen die Jungen aber nicht." Themensetzung verbessern, weniger Regularien, mehr Debatten - damit könnten junge Menschen gelockt werden. Sie habe überlegt, bei der Kommunalwahl in Koblenz, ihrem Studienort, anzutreten. Das könnte aber an einem ganz praktischen Problem scheitern: "Der Bachelorstudiengang dauert drei Jahre, ein Mandat im Gemeinderat aber fünf Jahre."
Darin sieht auch Dörflinger einen Grund, warum gerade die jüngere Generation im Gemeinderat eine Seltenheit ist. "In jungen Jahren weiß man einfach noch nicht, wo es einen in Sachen Arbeit oder Studium hinverschlägt", erläutert Dörflinger. Die Verpflichtung, für fünf Jahre am Ratstisch zu sitzen, sei manchem deshalb zu lange. Trotzdem sollten die Jüngeren nicht davor zurückschrecken: "Ein Gremium entscheidet auch für die Jungen mit. Wenn von ihnen niemand vertreten ist, entscheiden eben die Älteren."
Laut Professor Hans-Georg Wehling aus Tübingen ist es zwar immer schwieriger, Leute für ein politisches Ehrenamt zu begeistern, aber nicht unmöglich. "Die Anstrengung ist größer, aber es kann gelingen, Kandidaten zu finden", sagt der Politikwissenschaftler. Es gebe immer wieder Menschen, die aufstehen, wenn beispielsweise ein Baum gefällt werde. Die Möglichkeit eines Bürgerentscheids findet er zwar grundsätzlich gut, warnte aber gleichzeitig auch vor einem Missbrauch dieses Instruments. Einerseits bestünde die Gefahr, dass egoistische Interessen durchgesetzt würden, andererseits erschwerten zu viele Bürgerentscheide die Arbeit des Gemeinderats. Ihm und den anderen Podiumsteilnehmern war es an diesem Abend ein wichtiges Anliegen, für ein politisches Engagement zu werben: "Politik kann auch Spaß machen."
© Fotos von Daniel Häfele